Kalenderblatt November 2021

November 2021

Die Hausschlachtung — Erinnerungen von Manfred Uchtmann

Bis 1970 wurden von der Familiengemeinschaft Rappold/Uchtmann zwei Schweine gemästet. Wenn die beiden Sauen vier Zentner Lebendgewicht erreicht hatten, was im Spätherbst der Fall war, wurden mit dem Hausmetzger Termine für die Schlachtung festgelegt. Bei uns war Willi Schröder aus Falkenberg, der Neffe von Oma Rappold - er war der Sohn von Omas Bruder - der langjährige Hausschlachter. Er kam dann jeweils mit seinem Motorrad mit Anhänger, auf dem er seinen Fleischwolf, die Wurstmaschine und die vielen notwendigen Schlachter-Utensilien verstaut hatte, nach Wabern. Vater war schon gegen 6.00 Uhr aufgestanden und hatte den gereinigten Waschkessel angeheizt, damit das Wasser rechtzeitig kochte.

Nach dem Eintreffen des Hausmetzgers wurde das Schwein aus dem Stall getrieben. Es wurde versucht, das Tier ruhig zu halten, denn „aufgeregte“ Schweine konnten erfahrungsgemäß zu einer schlechteren Fleischqualität führen. Der Hausmetzger hatte bereits im Stall dem Schwein einen Strick um eines der hinteren Beine befestigt und manövrierte es nun mit Hilfe von Vater in die richtige Stellung, damit er den Bolzenschuss anbringen konnte. Nach dieser Aktion war das Schwein betäubt, nun setzte der Metzger schnell den Endblutungsschnitt.

Das auslaufende Blut wurde in einem Topf aufgefangen. Die rote Flüssigkeit musste nun mehr als zehn Minuten geschlagen werden, damit das Blut nicht gerinnt und klumpte, sonst konnte es später für die Herstellung der Blutwurst nicht verwendet werden.

Anschließend hievten mindestens drei starke Männer das Schwein in das bereitstehende Brühfass. Dann wurde es mit dem inzwischen kochenden Wasser übergossen. Nun konnten die Borsten mit sogenannten Schellen (auch Glocken genannt) entfernt werden. Anschließend wurde das Tier auf einem Holztisch abgelegt und mit scharfen Messem die restlichen hartnäckigen Borsten abgeschabt.

Der Hausmetzger entfernte nun mit geübten Schnitten den Kopf vom Hals. Dann ging es an die Hinterfüße. Sie wurden vorbereitet, damit der Schweinekörper am Krummholz festgemacht und an einem speziellen Krampen aufgehängt werden konnte.

Nun begann das Ausweiden. Der Metzger setzte einen kräftigen Schnitt und schlitzt das Schwein längst auf. Nun lagen die Innereien frei. Der noch gefüllte Darm kam in eine Schüssel. Es folgten Galle, Leber, Herz und Nieren. Ein Teil aus dem Zwerchfell wurde für die Trichinenprobe der Fleischbeschau zur Seite gelegt. Zum Schluss griff der Metzger zum Spaltbeil und teilte die Sau exakt entlang der Wirbelsäule in zwei Hälften.

Nachdem der Fleischbeschauer nach durchgeführter Trichinenschau den Schweinekörper zur weiteren Verarbeitung freigabt, und das Fleisch nach einer Frühstückspause ausgekühlt war, wurden die beiden Hälften in der umfunktionierten und zuvor penibel gesäuberten Waschküche durch den Hausmetzger zerlegt. Die herausgeschnittenen Teile wie Unter- und Oberschale, Huftstück, Schweinehals und -rücken, Bauchspeck und Filet, Rippchen, Koteletts sowie Schnitzel wurden in hölzernen Mullen für die spätere Verwendung bereitgestellt.

Inzwischen waren das Herz, die Nieren, die Zunge, einige fette Fleischstücke, die Schwarten und die beiden Hälften des Schweinekopfes in den Kessel mit heißem Wasser gegeben worden.

Das für die Wurstherstellung bereitgestellte Fleisch wurde nun durch den Fleischwolf - Marke Edertal-Elektromotoren - kleingekuttert und in einer Holzmulle abgestellt. Nun kam der Moment, der über den Geschmack der späteren „Ahlen Wurst“ entscheidet: Die Würze. Hierbei verließ sich unser Hausmetzger auf seine Geschmackserfahrung. Ohne abzuwiegen wurden, je nach Wurstsorte, verwendet: Kochsalz, Majoran, Thymian, Piment, weißer Pfeffer, Nelkenpfeffer, Muskatnuss, Knoblauch, Salpeter und Zucker. Der Knoblauch war am Abend zuvor von Großvater in kleine Würfel geschnitten und mit Schnaps in einem kleinen Glas angesetzt worden.

Das gewürzte Wurstbrät wurde dann kräftig durchgemengt. Danach konnte man es als „Gehacktes“ bezeichnen. Nun wurde die Masse in den Behälter der Füllmaschine eingebracht, in dem der Schlachter das Gehackte zu großen Kugeln formte und dann mit Schwung von oben passgerecht in den Behälter knallte. Diese Art des Einfüllens war wichtig, damit möglichst wenig Luft zwischen die Brätmasse geriet. Der gefüllte Behälter wurde dann in die eigentliche Füllmaschine eingesetzt. Durch gleichmäßiges Drehen der Kurbel wurde die Fleischmasse durch einen Kolben im Behälter nach unten gedrückt und trat dann aus der Tülle heraus. Danach konnte der zu füllende, auf die Tülle aufgezogene Wurstdarm fest gestopft und zugebunden werden. Hierzu war eine Person erforderlich, der die Wurst mit Geschick luftdicht mit einer Kordel abband.

Nachdem die Lunge, die Zunge, Leber, Nieren und Fettabschnitte im Kessel gargekocht waren, wurden sie in kleine Teile geschnitten, dann vom Metzger nach Wurstarten sortiert und durch den Fleischwolf gedreht. Das Ergebnis war Leber-, Blut- und Schwartenwurst. Wobei die Blut- und Leberwurst noch einem im Kessel durchkocht wurde. Der Sud aus Fleisch- und Wurstbrühe ergab am Schluss die begehrte Wurstbrühe.

Die frische Wurst wurde nun auf Stöcken, oft auch Besenstielen, aufgehängt und in der Speisekammer, wo noch überschüssige Flüssigkeit abtropfen konnte, gelagert. Erst nach einigen Tagen der Abkühlung wurde sie mit Buchenspänen in der speziell gebauten Räucherkammer geräuchert und anschließen in der kühlen Speisekammer aufbewahrt.

War die Verarbeitung der Fleischmasse abgeschlossen, begann die Reinigung der Geräte, Messer, Mullen und der sonstigen Schlachtutensilien. Hierbei wurde mit heißem Wasser nicht gespart.

Tante Trine, die Schwester von Oma, kümmerte sich in all den Jahren um den Kessel mit der Blut- und Leberwurst. Hierzu gehörte eine gewisse Erfahrung, denn überhöhte Temperaturen der Sudflüssigkeit - der Wurstbrühe - führten zum Platzen der Wurst.

Die abschließende Tätigkeit, die von Oma und Mutter erledigt wurde, war die Vorbereitung der Schlachte-Mahlzeit. Unser Hausschlachter und alle Helfer trafen sich in unserer Küche zum beliebten Schlachteessen. Es gab immer eine Vorsuppe aus Wurstbrühe mit Reis und Gehacktes-Klößchen, danach Kartoffeln mit Sauerkraut und Feldsalat, dazu Kesselfleisch und Bratwurst. Als Nachtisch wurde Apfelbrei oder Zwetschenkompott angeboten. Fehlen durfte aber auch nicht der klare Korn, mit dem das erfolgreiche Schlachten gefeiert wurde.

Vor diesem abschließenden Ritual hatte ich die Aufgabe, die Nachbarschaft mit Wurstbrühe (in der Milchkanne) zu versorgen. Waren in den Familien Kinder vorhanden, gab es als Zugabe ein kleines Bratwürstchen.

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