Kalenderblatt September 2016

September 2016

Rübenernte im Schatten der Fabrik

Foto von Rainer Knaust, Landwirt, Vermessungsfacharbeiter und Hobbyfotograf

Die Tradition der Zuckerfabrikation in Wabern

von Günter Jung, Bürgermeister a.D.

Bereits 1835/36 entstand die erste Zuckerfabrik in Wabern. Das Betriebsgebäude stand an der heutigen Kreuzung Bahnhofstr./Tannenbergstr./Hindenburgstr. Der Betrieb wurde schon im Jahr 1850 wieder eingestellt. Der genaue Grund hierfür ist nicht bekannt - wahrscheinlich ist aber, dass der nach der Aufhebung der Kontinentalsperre billig zu beziehende Rohrzucker aus England dazu führte, dass das Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben war.

Die aus Braunschweig zugezogene Landwirtsfamilie Röver gründete dann zusammen mit über 100 Landwirten aus Nordhessen am 08.08.1880 die Actien-Zuckerfabrik Wabern am jetzigen Standort. Die erste Kampagne dauerte von Dezember 1881 bis Februar 1882. Aus 500 ha Anbaufläche wurden 10.500 t Rüben eingeliefert mit einem Zuckergehalt von ca. 10%.

Zum Vergleich: Die aktuelle Anbaufläche für das Werk Wabern beträgt ca. 10.000 ha, die von über 1.100 Landwirten bewirtschaftet werden. In der Kampagne werden täglich ca. 7.000 to Rüben verarbeitet - jährlich ca. 600.000 to (die erste Kampagne in 1881/82 hätte heute also nur anderthalb Tage gedauert!). Der Zuckergehalt der modernen Rübe liegt je nach Bodenqualität und Klimabedingungen im Allgemeinen bei über 17%. Das Werk Wabern erzeugt also jährlich ca. 100.000 to Zucker, der zumeist in der Lebensmittelindustrie verarbeitet wird. Diese Menge entspricht 200 Mio. Haushaltspackungen zu 500 g., also fast zweieinhalb Päckchen für jeden Einwohner in Deutschland! Unsere Zuckerfabrik im Wandel der Zeit:

Nachdem die Aktienmehrheit der Zuckerfabrik Wabern 1975 von der Franken-Zucker in Ochsenfurt übernommen wurde, gründete der neue Mehrheitseigentümer im Jahr 1977 die Tochtergesellschaft "Vereinigte Zuckeraktiengesellschaft Obernjesa-Wabern-Warburg (VZAG)". Im Jahr 1988 fusionierte die Frankenzucker mit der Südzucker AG zur heutigen "Südzucker AG Mannheim/Ochsenfurt". 1993 wurde dann auch die VZAG mit der Südzucker AG verschmolzen. Zuvor war bereits im Jahr 1978 das Werk Obernjesa geschlossen worden.

Die Waberner Fabrik wurde in der Zeit vor ihrer Verschmelzung mit der Südzucker AG kontinuierlich umgebaut, erweitert, modernisiert und auf den jeweils neuesten Stand der Technik gebracht. Als einziges Gebäude erinnert das alte Bahnwaagehäuschen noch an frühere Zeiten. Das Werk Wabern gilt mit seinem hohen technischen Standard als einer der Betriebe, der pro Gewichtseinheit Zucker den niedrigsten Energieaufwand benötigt.

Die Aktienmehrheit an Südzucker gehört traditionell den rübenanbauenden Landwirten. Jeder Anbauer ist nämlich im Verhältnis seiner garantierten Einlieferungsmenge an der Süddeutschen Zuckerrüben-Verwertungs- Genossenschaft (SZVG) beteiligt, die wiederum stellvertretend für ihre Mitglieder 56% des Aktienkapitals der Südzucker AG hält. Weitere 10% gehören der "Zucker-Invest GmbH" mit Sitz in Wien. 34% sind Streubesitz.

In der Zukunft wird es für die Zuckerproduktion in Europa und damit auch für das Werk Wabern neue Rahmenbedingungen geben, von denen man noch nicht genau weiß, wie sie sich auf unseren Standort auswirken. Die EU-Zuckermarktordnung ist mit Wirkung vom 01.10.2017, also ab der Kampagne 2017 aufgehoben. Für die Zukunft der europäischen Zuckerproduktion ab 2017 gibt es unterschiedliche Prognosen. Der EU-Garantiepreis fällt weg, ebenso viele Importbeschränkungen für Zucker. Die internationale Getränke- und Süßwarenindustrie ist teilweise selbst Zuckerproduzent in Übersee und kann nach Wegfall der EU-Zuckermarktordnung ihren eigenen Zucker für die Produktionen in der EU einführen. Andererseits kann unser Zucker mit weniger Beschränkungen am Weltmarkt teilnehmen. Das kann auch eine Chance für unsere Standorte sein. Jedenfalls wird es nach 2016 spannend.

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